Das Schäferkreuz bei Düderode
(Artikel aus der Seesener Zeitung vom 23.06.1973)

Oldenrode und Düderode, die beiden schmucken Dörfer, bilden eine Siedlungseinheit. Obwohl dicht westlich der Gemeinde die Autobahn vorbeiführt, liegen die Ortschaften abseits der grossen Welt. Wenn man so will, sind sie noch so etwas wie eine Oase der Ruhe in unserer hektischen Zeit. Gutgehaltene Strassen verbinden die Doppelgemeinde mit dem Süden, dem Norden und dem Westen; in letzteren beiden Richtungen unter der Autobahn hindurch.
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Dieser „alte Gittelder Weg“ muss ehedem einen recht lebhaften Verkehr aufzuweisen gehabt haben. Eseltreiber vom Harz, die mit langen Reihen aneinandergebundener Grautiere das Korn aus den fruchtbaren Landgegenden in die Bergstädte transportierten, Viehhändler und kiepentragende „Harzweiber“ bevölkerten diesen Weg, der auch von den Bewohnern der anliegenden Dörfer rege benutzt wurde.
An diesem „alten Gittelder Wege“ im Walde, sollen in früheren Jahrhunderten etliche Morde (oder nur ein Mord?) verübt worden sein. Dem oder den Ermordeten zum ewigen Gedächtnis wurde einst ein Kreuzstein errichtet, ein Sühnestein, seiner Form und seinem Aussehen nach ins 17. Jahrhundert gehörend. Der Stein wurde im Volksmund „Schäferkreuz“ genannt. Es handelte sich dabei um einen einfachen Sandsteinblock, in den ein schlichtes lateinisches Kreuz eingehauen war. Der Name „Schäferkreuz“ soll an einen Schäfer erinnern, der angeblich hier erschlagen wurde, weil er nicht zugeben wollte, dass seine Frau dem Herrn oder Inspektor zu Willen sein sollte. Von anderer Seite wird behauptet, dass hier einige der oben erwähnten Eseltreiber vom Harze wegen 1 Pfennig, der damals ja noch einen ganz anderen Wert hatte als heute, in Streit geraten seien, wobei einer ums Leben gekommen ist. Wieder andere erzählen, ein Schweinehändler sei hier überfallen, niedergeschlagen und seiner Barschaft beraubt worden. Als letzte Variation wird berichtet, ein Junge sei hier ums Leben gekommen.
Nach allem nichts Sicheres. Nur dem Heer der germanischen Mord- oder Sühnekreuze würde unser „Schäferkreuz“ zuzurechnen sein, wobei dessen Name nicht unbedingt eine Aussage macht. Viele der alten Kreuzsteine werden mit Schäfern in Verbindung gebracht, so der Kitzelkreuzstein bei Mechtshausen und der Schäferstein bei Osterode. Im 11. Jahrhundert setzte unter dem erstarkenden Einfluss der Kirche eine Sitte ein, die an Stelle der germanischen Blutrache und des Wehrgeldes für den Erschlagenen von dem Totschläger eine Sühne und die Errichtung eines Sühnekreuzes verlangte. Diese urkundlich bezeugten Sühneverträge kamen ab, als die Obrigkeit die Rechtspflege ausschließlich in die Hände nahm.
Die steinernen Dankmale, sonst durch eine unaussprechliche Furcht unangetastet geblieben, verloren immer mehr ihren Sinn und gerieten in Verlust und Vergessenheit. So scheint es auch dem Schäferkreuz bei Düderode ergangen zu sein. Noch im Jahre 1935 berichtete Wilhelm Lampe, damals Lehrer in Harriehausen, von ihm. Nach Aussage eines Düderoder Einwohners wurde der Stein, woher schon vor Jahrzehnten, von Waldarbeitern ausgegraben;
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Doch eine gerade Straßenverbindung nach Osten, zum nahen Gittelde, gibt es nicht. Ein zusammenhängender, bewaldeter Bergzug, der im Fahrendberg 401,2 m Höhe erreicht, trennt die Nachbargemeinden. Dieser Bergzug, in dem sich an der östlichen Seite die Ruinen der Stauffenburg befinden, war wohl schon immer ein Hort der Einsamkeit, denn nicht ohne Grund versteckte Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig gerade hier seine Geliebte Eva von Trott vor den Augen der Welt. Alte Grenzsteine lassen die Vermutung aufkommen, dass der Grund der mangelhaften Verbindung zwischen Oldenrode-Düderode und Gittelde die Grenze war, die sich hier jahrhundertelang durch die Wälder zog, die Grenze zwischen dem braunschweigischen Gittelde und den beiden hannoverschen Dörfern. Doch war dies nicht immer so. In früheren Zeiten bestand eine direkte Verbindung nach Gittelde, der sogenannte „alte Gittelder Weg“.


„aber es wurde nichts darunter gefunden!“ Jetzt hat unser Gewährsmann den Stein schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Dort, wo sich jetzt ein aufgearbeiteter Windbruch befindet, soll der Stein gestanden haben. Der Verfasser suchte ihn, fand ihn aber nicht. Ist das Schäferkreuz endgültig verschwunden wie das Kitzelkreuz „Kättelkruize“, das einst auch in der Feldmark vor Düderode stand und an das jetzt nur noch ein Flurname erinnert? Oder ist der Stein nur versteckt oder zugewachsen?
Bleibt zum Schluss noch die Frage, warum der einstige gerade Weg nach Gittelde verschwunden ist? Vielleicht deshalb, weil es dort „nicht ganz geheuer“ war und hier, im einsamen Forst, früher wirklich einmal mehrere Morde geschehen sind, die der Volksmund dann alle mit dem „Schäferkreuz“ in Verbindung brachte.